„Lasst uns einfach den ersten Schritt gehen!“, so lautet das Credo von Günther Schätzle, Manager Plant Engineering Production & Logistics bei der CHT Germany GmbH in Tübingen, der deutschen Gesellschaft einer weltweit operierenden Unternehmensgruppe für Spezialitätenchemie. In seiner knapp 20-jährigen Beschäftigung bei CHT hat sich für ihn ein Erfolgskonzept verfestigt: sequenzielles Vorgehen bei Neueinführungen und flexible Anpassungen auf Basis modularer Konzepte in allen Bereichen – sprich: schrittweises Ausprobieren, was funktioniert, und den maximalen Spielraum nutzen, um Herausforderungen effizient zu begegnen.
Für ein Großprojekt hat sich diese Herangehensweise nun erneut bewährt.
Chemieunternehmen werden mit komplexen und manchmal widersprüchlichen gesetzlichen Auflagen konfrontiert, wenn es um die Lagerung großer Mengen unterschiedlicher Gefahrstoffe geht. Je nach Gefährlichkeitsmerkmal und Lagermenge sind entsprechend aufwendige Schutzmaßnahmen vorzusehen. Bei verschiedenen Gefahrstoffen ist stets zu prüfen, ob eine Zusammenlagerung erlaubt ist. Brand- und Explosionsgefahren sind sorgfältig abzuwägen und im Brandschutzkonzept zu berücksichtigen. Der Genehmigungsprozess ist in der Regel anspruchsvoll und langwierig.
Das Stammwerk der CHT Gruppe in Dußlingen nahe Tübingen produziert jährlich 50.000 Tonnen Spezialchemikalien für Kunden auf der ganzen Welt. Auf dem Gelände lagern mehrere Tausend Tonnen Gefahrstoffe. Das Werk unterliegt daher den erweiterten Pflichten der Störfallverordnung und der besonderen Überwachung durch die Behörden.
Die Produkte der CHT Gruppe werden immer komplexer und kundenspezifischer, weshalb der flexiblen und sicheren Lagerung verschiedenster Gefahrstoffe eine große Bedeutung zukommt. Gleichzeitig wird die Umsetzung der Lagervorschriften für solche Stoffe immer aufwendiger. Erschwerend kommt die zunehmende Versorgungsunsicherheit auf dem Rohstoffmarkt hinzu. Die Logistik der CHT Gruppe muss also leistungsstark und flexibel gestaltet werden, und dazu war der Bau einer weiteren Lagereinrichtung für Gefahrstoffe am Standort dringend erforderlich.
Um diese Aufgaben erfüllen zu können, setzte Schätzle auf ein modulares Konzept. Er entschied sich damit nicht für die sonst übliche Vorgehensweise in der Branche – den Bau einer weiteren großen Lagerhalle mit offenen Regalen. „Zu unflexibel, zu hohe behördliche Auflagen und Baukosten, zu lange Projektlaufzeit“, so sein Fazit.
Im Frühjahr 2020 holte Schätzle sich DENIOS, den Experten für die sichere Gefahrstofflagerung, ins Haus. Nach einer einjährigen technischen und kommerziellen Planungsphase gingen CHT und DENIOS das gemeinsame Projekt an, das neben der Lieferung von 30 Lagermodulen eine digitale Fernüberwachung der Anlagendaten beinhaltet. Gemeinsam mit dem Industriebauspezialisten Company4 wurden die fünf Kernpunkte des Vorhabens formuliert: Sicherheit, Flexibilität, Modularität, Energieautarkie, Digitalisierung.
Die Lagermodule stehen auf einer Spezial-Betonplatte, ausgebildet als flüssigkeitsdichte Wanne. Die gesamte Konstruktion mit Boden, Lagermodulen und Dach erfüllt die Anforderungen aller Regelwerke, auch jener für den Bau von Anlagen in der Erdbebenzone 3, der höchsten Kategorie in Europa.
Während der Bauzeit wurde CHT von DENIOS bereits mit ersten Lagermodulen zur unterbrechungsfreien Zwischenlagerung versorgt. Die finale Auslieferung der restlichen Systeme und die Endmontage erfolgten Anfang November 2021 reibungslos und zügig. Innerhalb von drei Wochen waren die 30 Lagermodule aufgebaut. Eindrücke dazu erhalten Sie im Video.
Anschließend wurden der überspannende Stahlbau für die Überdachung des gesamten Lagerbereiches errichtet, die Elektroversorgung für alle Lagersysteme und die Daten-Vernetzung mit dem hauseigenen Prozessleitsystem sichergestellt und die stationäre Löschanlage installiert. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach gewährleistet den energieautarken Betrieb der Gesamtanlage.
Jedes Lagermodul ist separat brandschutztechnisch ausgestattet und nach TRGS510 bewertet sowie für die lokalen Wind-, Schnee- und Erdbebenlasten ausreichend bemessen. Es handelt sich um F 90/REI 90 Brandschutzlager und isolierte Gefahrstofflager mit Brandschutzpaneelen, die unter Berücksichtigung von Brandschutzabständen kosten- und platzeffizient aufeinander abgestimmt und im Wechsel aufgestellt wurden.
Schätzle wird immer wieder gefragt, warum man die verschiedenen Modultypen abwechselnd aufstellte und nicht der Größe nach sortiert; das sehe doch nicht schön aus! „Das ist der Trick bei der ganzen Angelegenheit. So lassen sich unter Einhaltung der Vorschriften doppelt so viele Paletten einlagern als üblicherweise auf so einer Fläche möglich wären!“ Schätzle betont besonders die zusätzliche Flexibilität des neuen Gefahrstofflagers:
Jedes Lagermodul ist ein eigener Lagerbereich nach Gefahrstoffrecht. Wir können jederzeit die Lagerklassen pro Modul wechseln. Das ist ein hochflexibles Konzept und gibt uns die notwendige Freiheit beim Bestücken des Lagers mit allen Lagerklassen, die die TRGS 510 kennt.
Für jede Lagereinheit liegt seitens des Herstellers DENIOS eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung des DIBt vor – als Eignungsnachweis für den Gewässerschutz gemäß der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) und für die brandschutztechnische Eignung. Zusätzlich ist jedes System mit dem digitalen Leckage-Warnsystem SpillGuard® connect ausgestattet, das die Daten per Narrowband IoT in eine DENIOS Cloudanwendung überträgt und dort für den kundenseitigen Abruf bereitstellt. CHT wandelt die Clouddaten in ein MTP-Datenformat* um und nutzt sie so im eigenen Prozessleitsystem für das Condition Monitoring.
Die Gesamtanlage bietet ein Höchstmaß an Sicherheit, das begeisterte nicht nur den TÜV. Die zuständige Genehmigungsbehörde für das Bauvorhaben bewertete das Sicherheitskonzept zudem als zukunftsweisend für die Branche und genehmigte das Vorhaben in Rekordzeit.
CHT kann aufgrund der Vielzahl untereinander abgetrennter Lagermodule nun auf jede Lageranforderung umgehend reagieren. Stoffbezogene Mengenschwellen sind in den kleineren Lagereinheiten deutlich besser einzuhalten und Anpassungen aufgrund schwankender Nachfragen sehr viel schneller zu realisieren. „Der Nutzen ist absolut überzeugend!“, konstatiert Schätzle. Aus seiner Sicht hat das Projekt Vorzeigecharakter für die gesamte Chemieindustrie und dient der Standortsicherung in Europa.
Anmerkung:
An das Bauprojekt konnte CHT mit einem IIoT-/Automations-Projekt synergetisch anknüpfen, bei dem es um die innovative Integration von herstellerseitig bereitgestellten Signal- und Steuerungsdaten in das kundenseitige Prozessleitsystem geht. Als ein Bestandteil werden die Signaldaten des DENIOS Leckage-Warnsystems SpillGuard® connect mit Datenströmen weiterer Anlagenkomponenten durch die Verwendung von MTP-Datenformaten auf OPC-UA-fähigen Prozessdatensystemen herstellerunabhängig zusammengeführt.
*MTP = Module Type Package nach VDI 2658. Ein detaillierter Projektbericht folgt separat.
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